Mit ihrem neuen Werk „Machine, Platform, Crowd“ präsentieren sich die MIT-Forscher Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson erneut als brilliante Erklärer der digitalen Transformation und ihrer sozioökonomischen Auswirkungen. Der Themenbogen reicht von der intelligenten Fabrik über das selbstfahrende Auto bis zu Bitcoin. Für alle, die keine Zeit haben, hier der hbpa-quick-read.

 Dr. Hans Bellstedt  - Inhaber und Geschäftsführer - hbpa - The Future of Public Affairs

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In der Crowd liegt die Kraft - hbpa - The Future of Public Affairs

Selbstfahrende Autos, Fabriken ohne Arbeiter, digitale Assistenten mit Sprechfunktion: allmählich schwirrt uns der Kopf angesichts immer neuer Spielformen der digitalen Transformation. Wer ordnet die Erscheinungen - wer erklärt uns die Funktionsweise und Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI), 3D-Druck oder Blockchain? Zu den Autoren, die dies mit großer Leichtigkeit vermögen, zählen die am Massachussets Institute of Technology (MIT) in Boston tätigen Professoren Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson. Schon mit ihrem Bestseller „The Second Machine Age“ (ersch. 2014, deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2015) hatten sie den Beweis abgeliefert, dass ein tiefes Verständnis von den neuen, in ihren Worten „brillianten“ Technologien und eine zugleich spannende und eingängige Erzählweise sich keineswegs ausschließen. Genau so verhält es sich mit „Machine, Platform, Crowd“, ihrem neuen Werk, dessen so einfacher wie genialer Kniff darin besteht, die schier unüberschaubare Zahl an technologischen Neuerungen und disruptiven Trends in die im Titel genannten drei Cluster einzuteilen. Was hat es mit diesem Dreiklang auf sich, und zu welchen Schlüssen kommen die Autoren in ihrem gut 300seitigen Band?

Ihre Reise durch das Universum der neuen Technologien starten die Autoren mit dem Kapitel „Maschinen“.  Die neuen, extrem leistungsstarken Computer unserer Zeit steuern komplexe Engineering- und Fertigungsprozesse, lenken Autos, scannen riesige Textmengen (z.B. juristische Texte) und erhöhen die Effizienz in Energienetzen. Nebenher, aber keineswegs nur zum Spass, schlagen sie uns Menschen in TV-Rateshows („Jeopardy“) oder beim schwersten aller Brettspiele, dem chinesischen Go. Müssen wir daher Angst haben vor der schier grenzenlosen Intelligenz der Superrechner? Stellen datengetriebene, sich selbstständig machende Vehikel – Roboter, Drohnen, fahrerlose Shuttle-Services – am Ende eine Gefahr für unser friedliches, halbwegs sicheres Zusammenleben dar? McAfee und Brynjolfsson vertreten, wie schon in „The Second Machine Age“, einen dezidiert fortschrittsoptimistischen Ansatz. Algorithmen, so schreiben sie unter Verweis auf Daniel Kahneman’s „Thinking, fast and slow“, bieten die bisher ungekannte Chance, das Bauchgefühl des Menschen – unser Verhaftetsein in Gewohnheiten, aber auch Vorurteilen – zu überwinden und rein rational basierte Abwägungen zu treffen. Künstliche Intelligenz mache das Autofahren sicherer, Bewerbungsverfahren fairer und die Bewirtschaftung agrarischer Flächen präziser. Doch wo bleibt da der Mensch? Die Autoren glauben, dass Bereiche, in denen es um Empathie, Leadership oder Teamwork geht, auch künftig vom Menschen dominiert werden. Im Übrigen trauen sie uns zu, „Seite an Seite“ mit den Maschinen zu arbeiten – allerdings nur, wenn wir bereit sind, massiv um-, wenn nicht sogar vollständig neu zu lernen.

Im nachfolgenden Abschnitt geht es um die Plattformökonomie. Deren Siegeszug leiten McAfee und Brynjolfsson aus dem Geschick ihrer Erfinder her, in radikal neuer, zumeist App-basierter Form einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu organisieren. Plattformunternehmen wie Uber, Booking oder die zahlreichen Essens-Lieferdienste schieben sich, ohne wesentliche eigene „assets“ (Taxis, Hotels, Restaurants) vorzuhalten, zwischen Hersteller und Kunden und drängen diese mehr oder weniger sanft dazu, die gewünschte Transaktion nicht direkt, sondern über die jeweilige Plattform durchzuführen. Je mehr Nutzer diesen Weg wählen, desto attraktiver und letztlich unumgänglicher wird die Plattform – der berühmte Netzwerkeffekt tritt ein. Dass diese „Winner-takes-all“-Ökonomie nicht nur zu Milliardengewinnen und exorbitanten Börsenbewertungen, sondern auch zu erheblichen Wettbewerbsproblemen führt, ist den Autoren bewusst. Als Ökonomen verweisen sie gleichwohl auf die unbestrittenen Vorteile und den enormen Transparenzgewinn für den Endverbraucher. Sicher: die neuen Technologien verbessern in vielfacher Weise unsere Lebensqualität. Zu einer umfassenden Bewertung gehört die regulatorische Diskussion jedoch zwingend dazu.

Der dritte und wohl erhellendste Abschnitt des Buches beschreibt das Phänomen der „Crowd“: Anders als im prädigitalen Kontext, wo die Weisheit der Wenigen in den großen zentralen Institutionen – hier als „core“ bezeichnet – gebündelt war, gehen die treibenden, zukunftsweisenden Entwicklungen heute von der „großen Menge da draußen“, eben der Crowd, aus. Gemeint sind damit die Millionen von unabhängigen Software-Entwicklern, App-Designern und Wikipedia-Kontributoren, die ihr Wissen und ihre Kompetenz – ermöglicht durch die Konnektivität im World Wide Web – der Menschheit zur Verfügung stellen. Linux, Crowdfunding (oder -lending) und der 3D-Druck sind nur einige Erscheinungsformen einer digitalen Dezentralität, bei der jeder zu allem einen Beitrag leisten kann. Der sozioökonomische Impetus, der von diesem subsidiären, egalitären Ansatz ausgeht, ist in seiner Wirkung offenkundig: Je mehr der Einzelne vom heimischen Rechner oder über sein Smartphone einen Code bearbeiten, Reparaturtipps verbreiten oder Spezialwissen teilen kann, desto dramatischer schwindet die Allmacht von Zentralinstanzen. Ganz besonders zeigt sich dies an der Digitalwährung Bitcoin, der die Autoren ein ausführliches Kapitel widmen. Je mehr Finanztransaktionen über dezentrale, auf der Blockchain abgelegte und dadurch geschützte Kontobücher erfolgen, desto verzichtbarer werden Banken als Intermediäre. Heisst dies, dass die großen Entitäten demnächst überhaupt nicht mehr benötigt werden? McAfee und Brynjolfsson sind keine Romantiker: Nur große Unternehmen, so schreiben sie, können signifikante Kosteneffizienzen erzielen, und nur sie stellen sicher, dass Verbraucher aus einer Vielzahl von (ständig erneuerten) Produkten ihre Favoriten zu vertretbaren Preisen auswählen können. Auch hier also sehen die Autoren, analog zu „Mensch“ und „Maschine“ (bzw. Produkt und Plattform), eher ein Nebeneinander von „Core“ und „Crowd“, anstelle einer vollständigen Verdrängung der alten Welt durch die neue.

Wird die Welt durch Maschinen, Plattformen und die „Crowd“ absehbar eine bessere? McAfee und Brynjolfsson unterstreichen die Chancen der digitalen Transformation, ohne die Risiken aus dem Blick zu verlieren. Vor allem aber suchen sie nach einer - über reine Geschäftszahlen hinausreichenden -Legitimation der Disruption: Erfolgreiche Organisationen sollen eine Mission, einen Zweck („purpose“) definieren und eine echte, tragfähige Gemeinschaft schaffen. Sie sollen sich des offenkundigen Wegbrechens traditioneller Beschäftigungsformen annehmen und inklusive Wege des Wachstums beschreiben – nur dann werde die Transformation von der Mehrheit der Menschen auch angenommen. Mit diesem Schlussappell verleihen McAfee und Brynjolfsson ihrem ohnehin brillianten Werk zusätzliche Qualität und Relevanz – must read!

Andrew McAfee, Erik Brynjolfsson: Machine, Platform, Crowd. Harnessing our Digital Future. Norton & Co., NY, 2017.