
Wenn in Deutschland das letzte Atom- (2022) und das letzte Kohlekraftwerk (spätestens 2038) heruntergefahren wird, sollen erneuerbare Energien (EE) fast unseren gesamten Strom produzieren. Im Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung fallen diese Ziele noch einmal ambitionierter aus.
Im Rahmen unserer Blogserie „Die Zukunft der Energie“ haben wir verschiedene EE und ihre Herausforderungen unter die Lupe genommen. Der stockende Ausbau von Windkraft an Land, zum Beispiel, benötigt geringere Abstandsregeln und klare Flächenziele, mehr Akzeptanz vor Ort durch bessere finanzielle Beteiligung der Kommunen sowie kürzere Genehmigungsverfahren. Es braucht deutlich mehr Flächen für Windkraftanlagen auf hoher See, schnellere Anbindung ans Festland und neue Regeln für Ausschreibungen. Solaranlagen sind wegen des Regelwusts vor allem für Privatpersonen sehr aufwändig zu realisieren; so sollten insbesondere für vergleichsweise kleine Anlagen ab 30 kW die bestehenden Vorgaben überdacht werden. Erwerb und Anschluss müssen schneller möglich sein, die Nutzungsmöglichkeiten auch für den Eigenverbrauch und im Rahmen des Mieterstrom-Modells verbessert werden. Die EEG-Umlage belastet Verbraucher und Produzenten.
Um die zunehmenden Schwankungen in der Stromerzeugung auszugleichen, sind – neben dem Ausbau von Netzen und Speichern – neue Gaskraftwerke zur Grundlastsicherung bei Dunkelflauten erforderlich.
Wasserstoff, vor allem grüner Wasserstoff aus erneuerbarem Strom, soll helfen, energieintensive Industrien zu dekarbonisieren. Vor allem das Henne-Ei Problem (gleichzeitiger Aufbau von Nachfrage, Angebot und Infrastruktur) und die Frage nach der „Farbe“, also dem CO2-Fußabdruck verschiedener Herstellungsarten, müssen gelöst werden.
Dieser Herausforderungen will sich die neue Koalition annehmen. Der Kohleausstieg soll „idealerweise“ schon 2030 geschehen. Die Ampel setzt sich bis 2030 als Ziel, 80% des Stroms aus EE zu beziehen, bislang waren 65% geplant. Gleichzeitig wird wegen der E-Mobilität und der Vernetzung von Energie, Wärme, Verkehr und Industrie (Sektorenkopplung) ein erhöhter Strombedarf von 680-750 TWh vorausgesetzt – das Bundeswirtschaftsministerium ging bisher von etwa 650 TWh aus. Der EE-Ausbau soll massiv beschleunigt werden, etwa durch ein Flächenziel von zwei Prozent für die Windkraft an Land. Bereits 2022 soll ein Dialog zwischen Bund, Ländern und Kommunen die Bereitstellung der nötigen Flächen ermöglichen. Hier dürfte es u.a. zu Streit um die auf Länderebene stark unterschiedlichen Abstandsregelungen zu Wohngebäuden kommen. Offshore-Windkraft soll Vorrang vor konkurrierender Flächennutzung (z.B. Fischerei, Schifffahrt, Naturschutz) erhalten und das Ausbauziel bis 2030 auf 30 GW (bisher: 20 GW) erhöht werden.
Auch bei der Solarenergie erhöht die neue Regierung die Maßgabe deutlich: Bis 2030 sollen 200 GW (bisher: 100 GW) PV-Kapazität in Deutschland installiert sein. Als Maßnahmen dienen eine Solarpflicht bei gewerblichen Neubauten, angepasste Vergütungssätze und die „Überprüfung“ der Ausschreibungspflicht bei größeren Anlagen sowie des Förderungsdeckels.
Hinsichtlich des heftig debattierten Artenschutzes etwa beim Bau von Windkraftanlagen ist ein Umdenken weg vom Individuen- hin zum Populationsschutz zu erkennen. Unter anderem mithilfe von bundeseinheitlichen Bewertungsmethoden soll bei der Schutzgüterabwägung mehr Klarheit herrschen. Unmissverständlich will die Ampel zugunsten des EE-Ausbaus „alle Hürden und Hindernisse aus dem Weg räumen“ (S 56, KoalV).
Mit einer stärkeren Digitalisierung in den Behörden, mehr (auch externem) Personal und vereinfachten Verfahren soll die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren „mindestens halbiert“ werden. Auch eine frühere Einbindung der Bürger und klare politische Zuständigkeiten sollen hierzu beitragen. Bei besonders prioritären Vorhaben soll der Bund künftig nach dem Vorbild des Bundesimmissionsschutzgesetzes kurze Fristen zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vorsehen.
Deutschland soll 2030 mit einer Elektrolysekapazität von 10 GW deutlich mehr grünen Wasserstoff produzieren. Die Nationale Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020 wollen die Ampel-Partner noch 2022 „ambitioniert“ überarbeiten. Für den Übergang sollen die politischen Vorgaben zudem „technologieoffen“ ausfallen, also auch nicht-grünen Wasserstoff auf CO2-haltigen Quellen zulassen. Neben transeuropäischen Großprojekten für den Aufbau einer Import- und Transportinfrastruktur will die Koalition auch eine einheitliche Zertifizierung von grünem Wasserstoff in Europa vorantreiben. Die neue Regierung setzt zudem auf Erdgas als Brückentechnologie zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Neue Gaskraftwerke sollen dazu errichtet und mit Kraft-Wärme-Kopplung verknüpft werden. Die gesamte Gasinfrastruktur soll langfristig auf Wasserstoff umgerüstet werden können („H2-ready“).
Auch für den Strommarkt sieht die neue Regierung umfassende Regeländerungen vor, um mehr Anreize für die dezentrale Erzeugung und Sektorenkopplung zu schaffen. Neu ist zudem die geplante einheitliche Definition von Energiespeichern. Die EEG-Umlage wird wie erwartet ab 2023 durch den Bundeshaushalt übernommen, zur Entlastung der Verbraucher und Industrie. Der bestehende Instrumentenmix wird u.a. durch Differenzverträge („Carbon Contracts for Difference“) für energieintensive Unternehmen, aber auch durch förderfreie Instrumente wie langfristige Stromlieferverträge (PPA) direkt zwischen Produzenten von erneuerbaren Energien und Abnehmern erweitert.
Die klimapolitischen Ambitionen machen sich auch in den Ministerposten und Ressortzuschnitten deutlich bemerkbar. Unter der Ägide des Vize-Kanzlers und bisherigen Co-Bundesvorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, sind Wirtschaft und Klimaschutz erstmals in einem Ressort vereint. Auch das bisher für Klimaschutz zuständige Umweltministerium ist mit Steffi Lemke in der Hand der Grünen, was die Koordination zwischen den beiden Ressorts, deren Beziehung in der Vergangenheit oft konfliktträchtig war, erleichtern soll. Andererseits werden auch die SPD mit Kanzler Olaf Scholz und die FDP mit Christian Lindner als Finanzminister großen Einfluss auf die Klimaschutzpolitik der neuen Regierung ausüben. Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Koalitionspartner etwa bei staatlichen Investitionen, Artenschutz oder Industriesubventionen könnten dafür sorgen, dass die momentane Aufbruchsstimmung eher früher als später dem harten politischen Tagesgeschäft weichen wird.